Achtung Wechselwirkung! Diese Nahrungs- und Arzneimittel passen nicht zusammen
17-10-2023
Medizin soll uns gesund machen. Doch oft boykottieren wir die Wirkung von Arzneien, ohne es zu wissen – durch unsere Ernährung. Im schlimmsten Fall kann das sogar tödliche Folgen haben.
Medikamente wirken. Optimal tun sie das aber nur unter optimalen Bedingungen. Dass unterschiedliche Medikamente sich bei gleichzeitiger Einnahme beeinflussen können, ist den meisten bekannt. Steht ja im Beipackzettel.
Doch auch manche Speisen, Getränke und sogar Nahrungsergänzungsmittel können – wenn sie nicht mit ausreichendem Abstand eingenommen werden – die Wirkung deiner Arzneien verändern. Und zwar so, dass sie nicht mehr, deutlich abgeschwächt oder aber viel zu stark wirken. Das kann unangenehme Nebenwirkungen verstärken und auch unerwünschte Arzneimittelwirkungen auftreten lassen – mitunter sogar gefährliche.
Der Grund: «Jede einzelne Mahlzeit enthält mehrere Hundert potenziell interagierende chemische Verbindungen», erklärt Dr. Günther Schwarz, Dozent an der Akademie des Verbands für Unabhängige Gesundheitsberatung zum Thema «Medikamente und Lebensmittel». So können Bestandteile der Nahrung Arzneiwirkstoffe binden, deren Aufnahme verzögern oder sogar verhindern. Zudem verändert die Zusammensetzung des Essens den Transport, die Resorptionsgeschwindigkeit und den Gallen- und Leberstoffwechsel.
Vorsicht bei Grapefruits
In den 1990er-Jahren entdeckten Wissenschaftler zufällig, dass Grapefruits die Wirkung bestimmter Arzneien beeinflussen. Die Forschenden hatten den Probanden in einer Studie ein Medikament zusammen mit Grapefruitsaft gegeben. Die Pillen schmeckten damit zwar besser, doch ihre Wirkstoffe wurden nicht mehr abgebaut, die Konzentration im Körper war fast doppelt so hoch.
Auf Basis dieses Zufallsfund forschten Wissenschaftler des kanadischen Lawson Health Research Institutes weiter. Auf der bis 2013 veröffentlichten Liste stehen mittlerweile 85 Medikamente, die keinesfalls zusammen mit Grapefruitsaft eingenommen werden sollten. Darunter Cholesterinsenker, Schmerzmittel oder östrogenhaltige, orale Verhütungsmittel.
Es kann zu Hautausschlägen, Schwindel, Kopfschmerzen und Atembeschwerden, sogar Blutdruckabfall, schweren Nierenschäden, Muskelzerstörung und plötzlichem Herzstillstand kommen. Im Beipackzettel vieler Medikamente taucht daher inzwischen eine «Grapefruit»-Warnung auf.
Unzureichende Beipackzettel und Gebrauchsinformationen
Leider klären dich die Gebrauchsinformationen oft nur unzureichend über andere bedenkliche Kombinationen von Lebensmitteln und Arzneien auf.
- Grund 1: Viele Wechselwirkungen sind schlichtweg (noch) gar nicht bekannt.
- Grund 2: Selbst wenn auf den Beipackzetteln informiert wird, sind die Warnungen für uns Laien oft nicht verständlich.
So kommt es immer wieder zu – auch tragischen – Vorfällen. Das Berner Demenz Journal berichtete etwa von einem 70-Jährigen, der sich – appetitlos nach einer Lungenentzündung – mit viel Cranberrysaft aufzupäppeln versuchte. Sechs Wochen später starb er. Eine Studie fast die wahrscheinliche Todesursache zusammen: Das Enzym, das das Medikament Warfarin abbaut, war gehemmt worden. Flavonoide (sekundäre Pflanzenstoffe) im eigentlich gesunden Fruchtgetränk hatten dafür gesorgt, dass der Blutgerinnungshemmer, den der Mann seit Jahren einnahm, stärker wirkte und es zu tödlichen inneren Blutungen kam.
Selbst auf dem «Gelbe Liste Pharmaindex», einem Arzneimittelverzeichnis für Deutschland, das mehr als 27 000 Präparate mit allen wichtigen Infos zu Anwendungsgebieten, Kontraindikationen oder auch Wechselwirkungen enthält, fehlt für Warfarin bislang ein Hinweis zu Cranberrys. Nur vor dem Verzehr großer Mengen von Preiselbeeren wird gewarnt.
Wechselwirkungen: Von Alkohol bis Vitamin K
Nicht immer verläuft die Wechselwirkung zwischen Speisen, Getränken und Medikamenten natürlich derart dramatisch. Dennoch solltest du bei der Medizin-Einnahme auch deine Ernährung im Blick behalten. Die häufigsten Lebensmittel-Medikamenten-Interaktionen – neben der Grapefruit – habe ich auf Basis der «Gelben Liste» zusammengefasst:
Alkohol: Dass man auf Bier und Co verzichtet, wenn man Medikamente einnimmt, sollte klar sein. Alkohol dämpft außerdem das zentrale Nervensystem und verstärkt so die Wirkung von z.B. Antidepressiva, Schlaf- und Beruhigungsmitteln. Außerdem hindern größere Mengen Alkohol deinen Körper daran, Arzneien abzubauen und auszuscheiden. Deren Wirkung wird potenziert. Nicht nur im Straßenverkehr kann das gefährlich werden, weil Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit leiden. Alkohol verstärkt z.B. auch die Wirkung von Diabetesmitteln oder Blutgerinnungshemmern.
Ballaststoffe: Eigentlich gesund, können Ballaststoffe aus Gemüse, Obst und Vollkornprodukten einige Medikamente binden und aufgrund ihrer Quelleigenschaft deren Aufnahme hemmen. Ihre Wirkung wird also abgeschwächt. Dies gilt z.B. für Acetyl-Salicyl-Säure (ASS), Levothyroxin (L-Thyroxin) zur Behandlung der Schilddrüsenunterfunktion, Digoxin bei Herzmuskelschwäche und Herzrhythmusstörungen oder bestimmte Penicillin-Arten. Deine Tabletten solltest du also z.B. nicht zusammen mit Müsli oder Milchprodukten einnehmen.
Kalzium & Milchprodukte: Kalzium kann die Absorption von Arzneistoffen verringern. Bei gleichzeitiger Kalziumaufnahme verlieren etwa Mittel gegen Eisenmangel, Knochenschwund, Infektionen und Schilddrüsenerkrankungen ihre volle Wirkung nicht entfalten. Nimmst du solche Mittel, solltest du jeweils zwei Stunden vor und nach der Einnahme keine Milchprodukte essen. Besser verzichtest du auch auf mit Kalzium (und/oder Eisen) angereichertes Mineralwasser.
Koffein: Viele Medikamente oder orale Verhütungsmittel stören den Metabolismus von Koffein und führen zu einem Anstieg deines Koffeinblutspiegels. Die Folgen reichen von schlaflosen Nächten und Nervosität über vermehrten Harndrang bis hin zu Herzrhythmusstörungen. Koffein hemmt zudem den Metabolismus von Theophyllin, das zur Behandlung von Bronchialasthma oder chronischer Bronchitis eingesetzt wird. Wenn du Eisentabletten einnimmst, solltest du ebenfalls nichts Koffeinhaltiges trinken. Denn die Gerbstoffe aus Kaffee oder Tee verklumpen im Magen mit dem Eisen zu unlöslichen Verbindungen, die dann vom Körper nicht mehr aufgenommen werden. Auch manche Mittel gegen psychische Erkrankungen, sogenannte Neuroleptika, wirken etwa mit Schwarztee schlechter.
Eiweiß & proteinreiche Lebensmittel: Eiweiß besteht aus vielen kleinen Bausteinen, den Aminosäuren. Auch dein Körper bildet solche Amine. Nimmst du jetzt Medikamente ein, die in den Stoffwechselkreislauf dieser körpereigenen Amine eingreifen (sollen), wechselwirken diese auch mit den Aminen aus proteinreichen Lebensmitteln wie Fleisch, Fisch, Milchprodukten, Eiern oder Hülsenfrüchten. Die Arzneiwirkung wird beeinträchtigt. Käse und Co. können daher problematisch werden, wenn du sie zum Beispiel mit Mitteln gegen Depressionen oder Tuberkulose mischst.
Fettreiches: Eine sehr fettreiche Mahlzeit kann bei gleichzeitiger Medikamenteneinnahme unterschiedliche Effekte haben. Einerseits legt sich das Fett wie ein Film über die Darmschleimhaut und verlangsamt oder vermindert die Resorption des Arzneistoffs. Es gibt aber auch das Gegenteil, dass Medikamente eine signifikant erhöhte Absorption aufweisen, wenn du sie zusammen mit fettigem Essen schluckst. Und auch fettlösliche Wirkstoffe werden verbessert aufgenommen.
Fruchtsäfte, saure Getränke und Vitamin C: Die Magen-Darm-Resorption von Amphetamin-haltigen Arzneimitteln wie z.B. Appetitzüglern oder ADHS-Medikamenten verändert sich, wenn sie zusammen mit sauren Nahrungsmitteln und Getränken wie Limonade, Sekt und Wein, Fruchtsäften oder Vitamin C eingenommen werden. Darüber hinaus wird der Fexofenadinspiegel bei Einnahme mit Fruchtsäften gesenkt. Dein Antihistaminikum bei Heuschnupfen wirkt dann nicht mehr so gut.
Lakritze: Das Naschwerk sollte – vor allem von Patienten mit Hypertonie oder anderen Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetikern und Schwangeren – nicht mit Mitteln kombiniert werden, die den Körper entwässern, sogenannten Diuretika. Denn Lakritz kann dafür sorgen, dass du zu viel Kalium ausscheidest, Wasser und Natrium hingegen im Körper zurückbehältst. Die Folgen reichen dann von Ödemen (Wassereinlagerungen im Gewebe) über eine Erhöhung des Blutdrucks bis hin zu kaliumbedingter Muskelschwäche und sogar Herzrhythmusstörungen.
Tyraminhaltige Lebensmittel: Tyramin kommt zum Beispiel in eiweißreichen, lang gelagerten Lebensmitteln wie einigen Käsesorten vor, Salami, weißen Bohnen, Hefe, Sojabohnen, manchen Biersorten und Rotwein, besonders in Chianti. Normalerweise schützt sich dein Körper selbst vor einem erhöhten Tyraminspiegel. Nimmst du aber bestimmte Mittel gegen Depressionen ein, sogenannte nichtselektive MAO-Hemmer, dann blockieren sie den Abbau. Deshalb solltest du alle Lebensmittel, die Tyramin enthalten, meiden. Ansonsten kann dein Blutdruck gefährlich ansteigen und es sogar zu tödlichen Hirnblutungen kommen. MAO-Hemmer vertragen sich übrigens auch nicht mit Histamin, das zum Beispiel in Makrelen oder Cheddar steckt.
Vitamin K: Vitamin K schwächt den Effekt von blutgerinnungshemmenden Medikamenten ab, die Thrombosen vorbeugen sollen. In großen Mengen kommt es in Blumen- oder Grünkohl, Brokkoli, Avocado, Spinat, Erbsen, (Soja-)Bohnen oder auch schwarzem Tee und Leber vor.
Wasser, Verzicht und Selbstbeobachtung
Und jetzt? Wenn die Packungsbeilage, dein Arzt oder Apotheker keine andere Empfehlung ausgeben, schluckst du deine Arznei am besten mit Leitungswasser oder kalziumarmem Mineralwasser und verzichtest gegebenenfalls auf oben genannte Speisen und Getränke.
Da sich auf der obigen Liste aber auch gesunde Lebensmittel befinden oder Lieblingsspeisen, solltest du in jedem Fall mit deinem Arzt oder deiner Ärztin über deine Ess- und Trinkgewohnheiten sprechen. Sie können dann einen Weg finden, wie du Arznei und Ernährung in Einklang bringst.
Forschungs- und Dokumentationsbedarf
Bislang fehlt allerdings nicht nur ein umfassender, wissenschaftlicher Überblick, wie häufig Lebensmittel-Medikamenten-Interaktionen vorkommen und welche Folgen sie haben. Viele Wechselwirkungen sind auch schlichtweg noch gar nicht bekannt bzw. dokumentiert. «Wir gehen davon aus, dass nur maximal 20 Prozent der tatsächlichen Fälle berichtet werden», sagt Maik Pommer, Pressesprecher des deutschen Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM).
Er ermutigt alle, die eine Wechselwirkung bei einem Medikament vermuten, ihre Erfahrungen mitzuteilen – zum Beispiel der Meldestelle des BfArM oder in der Schweiz an Swissmedic. «Wenn sich mehr Menschen melden würden, könnte man das Problem noch deutlich besser erfassen – und auch auf Verpackungen bzw. den Beipackzetteln entsprechend warnen.»
Titelfoto: shutterstockDaniela Schuster
Autorin von customize mediahouse
Gäbe es meinen Job nicht, würde ich ihn erfinden wollen. Schreiben ist die Möglichkeit, ein paar Leben parallel zu führen. Heute stehe ich mit einer Wissenschaftlerin im Labor, morgen gehe ich mit einem Forscher auf Südpolexpedition. Täglich entdecke ich die Welt, erfahre Neues und treffe spannende Menschen. Aber nur kein Neid: Das Gleiche gilt fürs Lesen!
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